Trotz Corona hatten wir vergangene Woche Besuch vom DLF-Reporter Alexander Budde (im Bild mit 2m Sicherheitsabstands-Mikro samt Virenschutz). Vielen Dank an den DLF und an den NDR, der möglicherweise das Stück überimmt. HIER GEHTS ZUM BEITRAG:
rundfunk

Wundersames Überleben in Corona-Zeiten – das ONE WORLD Kultur- und Schulungszentrum Reinstorf

 ANMODERATION:

Vor zwei Jahren startete ein Helfernetzwerk für Geflüchtete im Dorf Reinstorf bei Lüneburg eine ungefragte Initiative: Mit eingeworbenen Fördergeldern wurde ein alter Landgasthof zum ONE WORLD Kultur- und Schulungszentrum mit Gastronomie, Kulturbühne und Tagungsräumen umgebaut. (Webinfo: https://1w-lg.net/) Das ehrgeizige Projekt zielt darauf ab, in der strukturschwachen Region händeringend gesuchte Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu schaffen – und den Neubürgern mit der Qualifizierung zugleich auch eine Bleibeperspektive. Beharrlich kämpften die rund 170 Vereinsmitglieder mit immer neuen bürokratischen Auflagen – jetzt, kurz vor einer lang geplanten Feier zum zweijährigen Jubiläum (am 03.04.) droht das jähe Aus durch Corona: Küche und Saal sind auf unbestimmte Zeit geschlossen, Konzerte und Lesungen abgesagt. Schnell müssen neue Konzepte für die Bildungseinrichtung her. Doch Not macht erfinderisch: Die Reinstorfer sind wild entschlossen, ihr vom Ruin bedrohtes Kulturzentrum in die Zukunft hinüberretten. Unser Niedersachsen-Korrespondent  Alexander Budde berichtet:

BEITRAG:

O-TON 1 Jens Thomsen

„Wir haben das umfänglichste Kulturprogramm in der gesamten Region. Wir sind, was einzelne Genres angeht, mittlerweile auf Weltspitze angelangt. Wir hatten im Dezember Marilyn Mazur zu Gast. Das war die Ex-Schlagzeugerin von Miles Davis. Das ist ein Qualitätslevel, was wir innerhalb von zwei Jahren erreicht haben…“

Jens Thomsen führt durch den Saal – liebevoll dekoriert aber menschenleer. Bar, Musikanlage, Bistrotische, Ledersofas. Kerzenleuchter umrahmen den gespendeten Steinway-Flügel auf der Bühne. Von der Decke baumeln Kronleuchter. Diaprojektoren werfen farbenfrohe orientalische Muster an die Wände.

Thomsen leitet den Verein „One World“. Ein Netzwerk aus Flüchtlingshelfern, Ehrenamtlichen und Kreativen hat dem alten Reinstorfer Gasthof neues Leben eingehaucht – als Kulturzentrum mit Ausbildungsbetrieb.

O-TON 2 Jens Thomsen

„In vielen Regionen werden Landgasthöfe einfach abgerissen, plattgemacht, und die sind soziokulturelle Zentren per se – und wir schwimmen da in die andere Richtung. Wenn die Landfrauen sich hier treffen und hier Vortragsveranstaltungen machen oder wir  Kinoveranstaltungen machen oder auch Vorspieleabende für lokale Musikschulen, dann entwickelt sich das Programm immer weiter in die Breite auch.“

Fünf Jahre stand der Gasthof leer – dann kamen Thomsen und Mitstreiter wie Gerhard Bothmann. Ihre  Idee: Alt und Jung zusammenbringen, Alteingesessene und Geflüchtete.

O-TON 3 Gerhard Bothmann

„Was uns natürlich auch alle bewegt, sind die einzelnen Schicksale: Der Said, der ist mit 15 Jahren geflüchtet aus Mali, ganz allein, hat keine Eltern mehr, der ist vorher nicht zur Schule gegangen, ist hier in einem Nachbarort in eine Oberschule gekommen und hat dort seinen Hauptschulabschluss absolviert. Das finde ich, ist ´ne sagenhafte Leistung.“

Bothmann, 66 Jahre, pensionierter Leiter einer Förderschule, ist einer der erfahrenen Ausbilder bei One World. Fünf junge Leute durchlaufen hier gerade eine von der Arbeitsagentur anerkannte Einstiegsqualifizierung – also ein Langzeitpraktikum im Ausbildungsbetrieb, um den Wunschberuf zu erproben und sich dabei zu bewähren.

Da ist Karla. Sie hilft in der Küche und als Bedienung im Gastraum aus, organisiert auch Familienfeiern.  Die 26-jährige ist vor Guerilla-Gewalt und politischen Wirren aus Kolumbien geflohen:

O-TON 4 Karla

„In Kolumbien ich habe verkauft Events: Kongress, Konferenz, Workshop, Geburtstag. Hier in One World ich lernen jeden Tag so viel, Sprache deutsche und Kultur – und mein Plan ist, bleiben hier und lernen in Sprachkurs B1, weil ich habe nicht ein gut Niveau für Deutsch.“

Alle Beteiligten müssen Hürden überwinden, schmunzelt Thomsen, ein Berufsleben lang war er Marketing-Manager:

O-TON 5 Jens Thomsen

„Zu Anfang waren wir sehr amateurhaft, was die Küche angeht. Das hat das Gesundheitsamt nicht so doll gefunden – weshalb wir uns hier ziemlich strecken mussten, um wirklich professionellen Level zu erreichen.“

Zwischenzeitlich hatte das Finanzamt die Gemeinnützigkeit aberkannt. Es ging immer irgendwie weiter – doch das Coronavirus ist eine tödliche Gefahr: In Küche, Gastraum, Konzertsaal steht die Zeit scheinbar still. Der Berufsschulunterricht parallel zur betrieblichen Arbeit muss aber weiterlaufen – sonst droht die Rückforderung von 50.000 Euro Fördermitteln.

O-TON 6 Jens Thomsen

„Bisher haben wir die Verteilung unserer Werbemittel immer irgendwie diffus gehabt. Jetzt haben wir mit unseren Einstiegsqualifikanten eine Truppe am Start, die in Marketing ausgebildet werden soll. Die Aufgabenstellung lautet: Welche Orte sind dies? Schau dir an, welche Verteilungsmöglichkeiten für Flyer es dort zum Beispiel gibt.“

Schon nach der ersten Krisensitzung stand das E-Learning-Programm für´s Homeoffice. Die Unermüdlichen denken quer und weiter: Telefon-Seelsorge, Einkaufshilfe für die Corona-geplagte Landbevölkerung. Unterdessen wundersames Überleben durch vorausbezahlte Vereinsbeiträge, Gutscheine, vielleicht auch Nothilfe vom Land. Befreundete Künstler basteln an immer neuen Projekten:

O-TON 7 Jens Thomsen

„Was wir jetzt gerade anstoßen – da schadet uns die Pause garnicht mal so sehr – ist das Thema Old meets Young.“

Senioren in ihren Heimen und Kindergartenkinder sollen gemeinsam in einem Singer-Songwriter-Workshop probieren – notfalls im Internet. Corona weckt auch Gutes im Menschen. Thomsen sagt:

O-TON 8 Jens Thomsen

„In den letzten zwei Jahren sind wir immer an der schwarzen Null entlanggefahren. Auf der anderen Seite haben wir extrem viel Mut. Wir haben viel Fantasie. Wenn man die verliert, dann ist man wirklich bedroht. Wir glauben fest daran, dass wir diese Krise auch meistern werden!“

ENDE